Tradition versus Lärmschutz
In der Schweiz gibt es immer wieder Streit um das Läuten von Kirchenglocken, insbesondere in dicht besiedelten Gebieten. Anwohner beschweren sich häufig über den Lärm, insbesondere nachts und frühmorgens, wenn die Glocken regelmässig zur vollen Stunde oder zu besonderen Anlässen erklingen. Auf der anderen Seite stehen Befürworter, die das Glockenläuten als Teil des kulturellen und religiösen Erbes sehen. Die Konflikte führen oft zu Diskussionen über Lärmschutz, Tradition und die Balance zwischen religiöser Praxis und dem Recht auf Nachtruhe. Manche Gemeinden haben bereits Kompromisse wie reduzierte Läutezeiten gefunden.
Beruhigende Klänge oder Nachtruhestörung?
In einem viel beachteten Fall hatte das Bundesgericht vor einigen Jahren ein Urteil zu fällen. In Bezug zu Nachtruhestörung besteht beim Glockengeläut ein rechtlicher Bezug, der nun durch ein richtungweisendes Urteil besser einschätzbar werden sollte. Hauptpunkt des Bundesgerichts-Urteils ist, dass das nächtliche Glockenläuten in Wädenswil im Kanton Zürich beibehalten werden darf. Das Bundesgericht betont insbesondere die traditionelle Verbundenheit der Bevölkerung mit dem Läuten und verweist auf die geringe Zahl von Beschwerden im Umkreis der Kirchen.
Hier einige Zitate aus dem Urteilstext:
Der nächtliche Viertelstundenschlag der Kirchenglocken ist in Wädenswil fest verwurzelt: Es handelt sich um eine langjährige Tradition, mit der sich grosse Teile der Bevölkerung verbunden fühlen.
Der Viertelstundenschlag zeigt nicht die genaue Uhrzeit an, sondern den Lauf der Zeit. Er ist ein vertrauter, für viele beruhigender Klang, der den gesamten Tagesablauf über 24 Stunden begleitet.
Da das Zentrum von Wädenswil dicht besiedelt ist, werden tendenziell viele Menschen betroffen. Allerdings hat sich nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts bisher – ausser den Beschwerdegegnern – niemand über den Lärm der Kirchenglocken in Wädenswil beschwert.
Etliche Kirchgemeinden entziehen dennoch im Voraus von sich aus möglichen Streitigkeiten den Boden, mehr aus allgemeiner Rücksichtnahme denn aus Angst vor Kirchenaustritten. So etwa bleiben bei der Katholischen Kirche in Wädenswil die Glocken nachts still.
An manchen anderen Orten werden aber wohl die Differenzen weiter schwelen, wie ein Bericht der Aargauer Zeitung über das Läuten in Wettingen zeigt:
aargauerzeitung.ch: Ärgernis KirchenglockenDie Kirchgemeinde hebt dabei ebenfalls die Wichtigkeit des Läutens für die Kirchenmitglieder hervor:
Für viele Anwohner ist das Glockengeläut ein Starten in den Tag und ein Aufruf zum Gebet.
Stimmung in der Bevölkerung
Wie oben erwähnt verwies das Bundesgericht in der Urteilsbegründung darauf, dass in Wädenswil potenziell viele Menschen betroffen seien, aber dennoch fast niemand sich über den Lärm der Kirchenglocken beschwert. Tatsächlich scheint gemäss diesem Bericht des Magazins 20Min generell wenig Missmut in der Bevölkerung zu bestehen:
20min.ch: «Nicht zeitgemäss» Bewohner tobt über KirchenglockenDas Magazin 20Min berichtete zu einem anderen Konfliktfall in Hausen am Albis und Online wurde dazu in grosser Zahl kommentiert. Und diese Kommentare können wiederum von anderen Leserinnen und Lesern bewertet werden mit [Genau], [Love it], [Smart], [Unnötig], [Quatsch] und [So nicht] bewertet werden. Dabei zeigte sich dass Kommentare eine hohe [Genau]-Zustimmung hatten, welche in diese Richtung gingen:
- „beibehalten und der Bewohner soll woanders hinziehen“
- „bin auch nahe einer Kirche aufgewachsen und es war kein Problem“
- „sollte er vielleicht vorher überlegen, ob er das wirklich will“
Recht verbreitet Anklang findet eine Gedankenspiel der Glockengegner: Angenommen das Läuten in der Nacht hätte es bis anhin nicht gegeben, wäre es dann denkbar, dass man das Läuten in der Nacht einführen würde? Natürlich nur eine Art rhetorische Frage, selbstverständlich wäre wohl für eine zusätzliche Geräuschquelle in der Nacht ein Antrag ziemlich sicher chancenlos. Auch andere Besonderheiten wie die Sonderstellung des Mannes könnten wohl heute nicht mehr eingeführt werden, wenn es sich nicht seit Jahrhunderten geben würde.