Baselland: Familienvater bestimmt über Konfession der Kinder

Im Zuge der Begutachtung des Kirchengesetzes Baselland kam noch ein weiteres Relikt von Mitte letztem Jahrhundert ans Tageslicht.

Beim Frauenstimmrecht formulierte man in weiser Voraussicht bereits damals, dass es für die Landeskirchen zulässig sei auch den Frauen Stimmerecht in den Kirchgemeinden zu gewähren (was heute natürlich eine Selbst­verständlichkeit ist, im Kirchengesetz BL aber immer noch optional).

Bezüglich Austritt ordnet gemäss Kirchengesetz der Regierungsrat das Verfahren und hat dies mit dem noch heute gültigen Regierungsratsbeschluss Ende 1950 (siehe Link unten) getan.

Diesem Regierungsratsbeschluss zufolge gilt für Kinder bis 16 Jahre:

"Ist der Austretende ein Familienvater, so kann sich seine Erklärung auch auf die in seiner väterlichen Gewalt stehenden Kinder unter sechzehn Jahren beziehen."

Als dieser Artikel aufgrund des gesellschaftlichen Wandels veraltete, wäre ein aktualisierter Regierungsratsbeschluss angebracht gewesen, beziehungsweise der politische Weg zu beschreiten, falls der Regierungsrat an der Familien­vater-Regelung festhalten will.

Weil aber niemand den Beschluss in Frage stellen wollte, ist dieser Regierungsratsbeschluss von 1950 nie aktualisiert worden. Ein Versäumnis, welches es zu beheben gilt.

Die Landeskirchen gingen (bewusst oder unbewusst) den Weg den Regierungsratsbeschluss bezüglich Familienvater-Regelung zu ignorieren und eigene Regelungen zu formulieren. Auch wenn juristisch der Regierungsratsbeschluss von staatlicher Seite heute weiterhin gültig ist, so hat sich die Praxis der Landeskirchen dem entzogen und verselbständigt.

Im ZGB gelangte man stufenweise via "elterliche Gewalt" zum Begriff der "elterlichen Sorge" per 1.1.2000. Ohne bei der landeskirchlichen Begrifflichkeit ins Detail zu gehen, kann man wohl annehmen dass es schon Jahrzehnte zurückliegt, dass man sich vom Regierungsratsbeschluss (stillschweigend?) abgekoppelt hat.

Zu betonen ist, dass ich hier keinesfalls zu einer Rückkehr plädieren möchte. Das Bestreben der Landeskirchen, die gesellschaftliche Entwicklung in den Regelungen abzubilden, ist sicherlich zu befürworten, gesetzespolitisch bedenklich wäre es allerdings, wenn man hier statt einer Rechtsanpassung bequemerweise den Weg der Rechtsignorierung gewählt hätte, denn ganz so einfach geht es nicht, weil Paragraphen auch nach langer Zeit nicht einfach quasi von selbst verrotten.



Die Landeskirchen beschreiben die jeweils aktuelle Praxis etwas unterschiedlich, hier als Beispiel die Evangelisch-reformierte Landeskirche BL:

Gemäss Kirchenverfassung beziehungsweise Kirchenordnung (Link unten) gilt die Regelung:

"Der Austritt von Kindern unter 16 Jahren ist durch die Inhaberin und/oder den Inhaber der elterlichen Sorge zu erklären"

Das heisst also: alleine die Mutter oder alleine der Vater oder beide zusammen können den Austritt für Kinder erklären. ► Offensichtlich also eine Diskrepanz zu eingangs zitiertem Regierungsratsbeschluss.

Frage an die Evangelisch-reformierte Landeskirche: Ist diese Diskrepanz bekannt?

Antwort: Ja, diese Diskrepanz ist Kirchenverwaltung und Kirchenrat (Exekutive) bekannt.

Anschlussfrage: Ist Ihnen bekannt, ob seitens der Landeskirche der Versuch unternommen wurde, in dieser Sache auf einen neuen Regierungsratsbeschluss hinzuwirken?

Antwort: Unklar formuliert. Die Erläuterungen dazu sind wohl so zu verstehen, dass man nicht auf den Revisionsbedarf des Regierungsratsbeschluss hingewiesen hat und auch keinen Bedarf sieht, dass der Regierungsrat hierzu die Praxis der Landeskirche im staatlichen Recht abbildet.

Zudem war die Antwort gewiss nicht als Einladung für weitere Diskussionen zu verstehen und dementsprechend habe ich dazu auch keine weiteren Fragen mehr gestellt.



Update Februar 2020:

Im November 2019 habe ich dann (nachdem man sich seitens der Kirche wenig motiviert gezeigt hatte auf eine Überarbeitung der staatsrechtlichen Regelung hinzuwirken) meinerseits auf staatlicher Seite nach gefragt:
"Drängt sich hier eine Aktualisierung auf (oder allenfalls eine Ausserkraftsetzung) oder ist es am besten so, dass die Landeskirchen nach eigenem Gutdünken den gesellschaftlichen Wandel in die Regelung des Austritts-Verfahrens einfliessen lassen?"

Die Finanz- und Kirchendirektion liess mir dazu 3 Monate später nach meinem 3. Anlauf einen dürren 2-Zeiler zukommen:
"Ihre E-Mail wurde durch die Landeskanzlei an mich weitergeleitet. Die Finanz- und Kirchendirektion wird die Neuregelung des Themas anlässlich der nächsten (Teil-)Revision des Kirchenrechts an die Hand nehmen."

Wieviele Jahre die Ausmerzung der antiquierten Regelung im beanstandeten Beschluss nun noch dauern wird bleibt offen. Im Kanton Baselland muss man es wohl schon als Erfolg sehen, dass man sich überhaupt dazu bekannt hat ins Auge zufassen, das Versäumnis irgendwann zu beheben.

Dass man davon absah sich bei der Antwort zu einer 3. Zeile mit einem Dank hinreissen zu lassen, deutet wohl auf nicht allzu grosse Freude hin, auf diesen Wunden Punkt hingewiesen worden zu sein. Trotzdem habe ich noch auf die Frauenstimmrechts-Probematik hingewiesen, jedoch gab es dann dazu keine Reaktion mehr. Sie sind wie sie sind, die Verwaltungsbehörden des Kantons Baselland...



Externer Link ◽ Regierungsratsbeschluss Austritt-Verfahren vom 22.11.1950:
▶ Regierungsratsbeschluss betreffend die Zugehörigkeit der Kantonseinwohner zu den drei Landeskirchen des Kantons Basel-Landschaft

Externer Link ◽ Evangelisch-reformierten Kirche BL:
▶ Ordnung der Evangelisch-reformierten Kirche des Kantons Basel-Landschaft